Mein Reisetagebuch – Gran Paradiso Nationalpark – Juli 2002

 Sonntag, 21.07.2002 
 

War es Schicksal oder nur eine spontane dumme Idee, die mich diese herrliche Hüttenwanderung durch den Nationalpark Gran Paradiso im Nordwesten Italiens erneut auswählen ließ? Ich weiß es nicht. Nachher ist man ja immer klüger, aber wer konnte auch schon vorher wissen, dass überall ringsum das Wetter recht unbeständig blieb während wir uns ständig von der Sonne verwöhnen lassen konnten.

Nun ja, nach einer langen Nacht im Auto erreichte ich bei strömendem Regen den Pass am Col Gr. St. Bernhard. Mit jedem Kilometer, den ich weiter ins Tal gen Aosta fuhr, wurde es eine Spur trockener. Und tatsächlich – einige Fetzen blauer Himmel ließen meine Hoffnung auf eine schöne Tour weiter steigen. 
Und pünktlich zum angegebenen Treffpunkt kam eine bunte Schar wanderlustiger Leute aus allen Himmelsrichtungen Deutschlands zusammen. Weiter ging mit dem Bus nach Cogne und Valnontey. Beim Aufstieg schien sogar schon ein wenig die Sonne, was besonders einige steile Passagen schweißtreibend werden ließ. Dass tatsächlich noch ein Regenschauer kurz vor dem Rifugio Vittorio Sella niederging, störte eigentlich kaum jemanden so richtig. 

Nach Bezug der Lager und einer ersten Vorstellungsrunde wurde der Abend bei schmackhaftem Essen und gutem Wein beendet. Dass da bei der Bestellung Pasta und Suppe verwechselt wurden, konnte keinen so richtig stören, zumal dies auch der einzige Fehler der Tour bleiben sollte.

 Montag, 22.07.2002


Der Regen hatte sich schon verabschiedet und interessante Wolkenformationen ließen auf einen guten Tag am Berge hoffen. Das war auch gut so, da eine recht lange Etappe zum Beginn der Höhenwanderung anstand. Erst ging es weit hinauf hinter der Hütte zur Scharte des Col Lauzon, die immerhin schon auf 3.296 m liegt. Für den ersten Tag war das schon recht okay. So wurde, auch wegen der noch etwas rutschigen Wegverhältnisse auf die Besteigung des nahen Gipfels verzichtet. Auch so war noch genügend Standvermögen gefragt, ging es doch fast 1.700 m abwärts ins Tal von Valsavarenche. Zuerst zog sich der Abstieg steil durch Schutt und Geröll etwas unangenehm hin. Danach wurde es jedoch zusehends interessanter. Die Brotzeit wurde zu einem echtem Spektakel. Gesäumt von den steilen Gipfeln der Grivola zur einen und den Eispanzern von Herbetet und Gran Paradiso zu anderen Seite, begleitet von einer großen Gruppe junger Steinböcke konnte jeder die Zeit intensiv genießen. Nur mühsam konnten wir uns von dieser großartigen Umgebung trennen. Aber es lagen noch viele Meter Abstieg vor uns. An einer wunderbar gelegenen Alm konnten die Trinkflaschen noch einmal mit frischem Quellwasser für das letzte Wegstück neu gefüllt werden. Dann ging es durch herrlichen Bergwald immer weiter abwärts zum kleinen Örtchen Eaux Rousses im Valsavarenche, wo in der Hostellerie Paradies schon Betten und Duschen auf uns warteten. 

morgens am Rif. Sella       
Rückblick auf Rif. Sella und Tribulatione Gletscher


    

Dienstag, 23.07.2002

Heute sollte es zuerst mit dem Bus zum Ausgangspunkt der zwar kurzen aber ungeheuer aussichtssreichen Wanderung zu den Hochflächen des Col de Nivolet gehen.
Dass sich das aber als das grösste Tourhindernis darstellen sollte, ahnte keiner. Mit einer leichten Verspätung  kam der Bus. Aber als wir unsere Rucksäcke in den Frachtraum packen wollten, kam der Fahrer wild gestikulierend heraus. „Quattro posti“ – vier Plätze war sein Kommentar. Da wir aber acht Leute waren und er sich nicht auf einen Kompromiss einließ, blieben wir alle zurück. Zum Glück stand heute nur eine kurze Etappe an, so dass uns die Zeit nicht knapp wurde. So ging es zuerst auf der Strasse taleinwärts. Erste Versuche des Autostops verliefen im Sande. Auch ein fast leerer Bus brachte keine Hilfe. Dann erbarmten sich nach und nach doch nette Autofahrer und wir kamen noch gut in Pont an. Nach einem Einkaufstop und einer Stärkung ging es dann bei sommerlichen Temperaturen den steilen Weg hinauf. Dass wir nicht allein wären, war uns schon klar, aber die Menschenmassen, die auf dem Pfad unterwegs waren, verhießen nichts Gutes. Aber nach und nach verlief sich alles, so dass wir am Aussichtskreuz den Blick auf Gran Paradiso und Grivola fast allein genießen konnten. Die Seilschaften, die den schönen Tag zur Besteigung des Gran Paradiso nutzten, konnte man schon fast mit bloßem Auge erkennen.
Weiter ging der Weg durch eine zauberhafte Hochfläche an verlassenen Almen vorbei. An einer dieser Almen genossen wir eine lange und wunderschöne Brotzeit. 
Die letzten Meter zur der von einer Passstraße erschlossenen Hochfläche des Col de Nivolet vergingen dann wie im Fluge. Freundlich wurden wir von Sandro, dem Wirt des Rifugio Citta de Chivasso empfangen. Den Nachmittag verbrachten wir teilweise dann sogar noch mit einem Bade im Bergsee oberhalb der Hütte, dessen Wasser dann doch nicht so kalt war wie zuerst befürchtet. 

Blumenteppich auf der Nivolet-Hochfläche
Beweis: Auch oberhalb von 2.600 m kann man baden!!


Mittwoch, 24.07.2002

Von weitem war der Anstieg zum Col de Nivolettaz schon sichtbar. Das Wetter hielt sich weiter makellos. Auch die Prognosen von Hüttenwirt Sandro machten uns noch keine grösseren Sorgen. So ging es im gewohnten ruhigen Marschtempo vorbei an den vielen Seen der Hochfläche. Vorbei an einem kleinen Steilstück wurden die ersten Höhenmeter erklommen. Nach einer kleinen Brotzeit, die von einer einsamen Gams genau beobachtet wurde, nahmen wir dann den letzten Wegteil in Angriff, der uns über verbliebene Restschneefelder zur Passhöhe führte. Oben angekommen entschieden sich einige Unermüdliche noch dazu, den Gipfel der Punta Basei zu erklimmen. Oben angekommen mussten wir jedoch feststellen, dass sich eine Gruppe Italiener mit vielen Jugendlichen mehr schlecht als recht mit der Schlüsselstelle abmühten. Aus Zeit- und Sicherheitsgründen verzichteten wir dann auf die letzten Meter zum Gipfel und stiegen nach ausgiebiger Würdigung der grandiosen Fernsicht wieder zu den Wartenden ab. Nun ging es steil und mehr oder weniger weglos hinunter in den Talschluß des Val di Rhemes. Die vorher aufgekommenen Quellwolken hatten sich schon wieder in den Süden verzogen, so dass wir in aller Ruhe den wunderschönen Nachmittag in einer Bergwiese dösend verbrachten. Die letzten Meter zum wie immer recht gut gefüllten Rif. Benevolo wurden dann recht schnell geschafft.

Donnerstag, 25.07.2002

Und wieder ein weiterer Traumtag – strahlend blauer Himmel ließ uns mit neuem Elan der nächsten Aufstieg angehen. Schnell ging es in Sepentinen hinauf gen Westen zum letzten Pass dieser Tour. Viele wunderschöne Blumen säumten wie schon in den vergangenen Tagen unseren Weg. Sogar einige zarte Edelweiß konnte man bei genauer Suche entdecken. Dass das „Männertreu“ immer wieder die Phantasie unserer Damen zum Überschäumen brachte – wer mag es ihnen verdenken.
Dann wurde der Lago di Goletta, ein Gletschersee erreicht. Nach einer kurzen Rast ging es dann mit viel Schwung zum letzten steilen Aufstieg zum Col de Bassac Déré. Oben belohnte uns schon eine phantastische Aussicht. Der Blick zurück ging zur Grivola und dem Gran Paradiso, auf der anderen Seite lockten die eisgepanzerten Berge des französischen Grenzkammes, hinter dem der Nationalpark Vanoise liegt. Vom Pass musste dann auch noch der erste Gipfel endlich erklommen werden. Mit der Becca de la Traversière ist hier ein leichter Wander-Dreitausender quasi eben mitzunehmen. Die Aussicht, die zwar immer wieder von durchziehenden Wolken dramatisch verändert wurde, ist unglaublich. Der Mont Blanc liegt in seiner ganzen Pracht vor einem. Dann ging es doch rasch hinunter, da der kräftige Wind uns doch gut zu schaffen machte. Vorbei an den inzwischen stark geschwundenen Gletschern ging es hinunter durch wieder wunderschön blühende Wiesen. Nach einer letzten Rast, die uns vom kalten Wind doch etwas verleided wurde, erreichten wir mit dem Rif. Mario Bezzi ein Quartier der Extraklasse. Mit einer wunderbaren Mahlzeit, die einem Gasthof der gehobenen Klasse in nichts nachstand, wurde der Abend beschlossen.  

Lago di Goletta   

 Freitag, 26.07.2002

Kaum zu glauben, aber alle am Vortag noch vorhandenen Wolken hatten sich in Wohlgefallen aufgelöst. Bester Stimmung nahmen wir den Abstieg hinunter nach Valgrisenche in Angriff. Immer wieder schweifte der Blick hinauf zu den steilen Hängen, die fast alle irgendwie mit Eis und Schnee verziert waren. Dreitausender von Format, wohin man auch sah. Wo anderswo jeder solche Berg eine eigene Attraktion gewesen wäre, bildet hier die Gesamtheit der Natur die Attraktion. 
Nach Erreichen der Fahrstraße ging es dann gemütlich weiter vorbei am Stausee Lago di Beauregard, dessen marode Staumauer immer wieder Erstaunen erweckt.
Eine kleine Rast im idyllischen Örtchen, und dann schaukelte uns der Bus hinunter in die Ebene nach Aosta. leider verließ uns hier mit Bernd schon der erste Mitreisende, da seine Zeit für das anstehende Finale nicht mehr ausreichte. Wir anderen ließen uns nach einer kurzen Auffrischung unserer Vorräte von der Seilbahn hinauf zum Lago di Chamolé tragen. Für manche war sogar dies ein echtes Abenteuer. Weiter ging es dann hinüber zum Col d’Arbolle, von dem man schon die schöne neue Hütte erkennen kann. Hatte mich noch im Vorjahr ein heftiges Gewitter mehr oder weniger in den Schutz der Hütte gejagt, konnte ich diesmal den herrlichen Blick auf die Berge der Emiliusgruppe genießen. In der Ferne lockte der Monte Emilius, der das grandiose Finale der Tour werden sollte. 
Aber erst einmal stand ein schöner Abend auf dem gemütlichen Rif. Arbolle an, bei dem wiederum alle zu Höchstleitungen bei der Nahrungsaufnahme gezwungen wurden, da sowohl die tolle Kochkunst als auch die aufgetischten Mengen große Ansprüche an die die Kondition der einzelnen stellte.

Modernes Kreuz in Chamolé
Blick vom Col d’Arbolle zur Hütte
Ziegen vor dem Grand Combin

Samstag, 27.07.2002

Finale furioso – der Monte Emilius stand heute auf dem Programm. Schon früh hieß es aufstehen, denn noch vor 7 Uhr sollte das Unternehmen beginnen. Leider nur noch zu sechst, denn auch für Ralf reichte die Zeit nicht mehr. Wir restlichen zogen mit leichten Gepäck durch die kühlen morgendlichen Schatten aufwärts. Ringsum erwachte ein herrlicher Tag, der von keiner Wolke gestört wurde. Nach jeder Kurve und nach jedem Höhenmeter zuckte mein Finger zum Auslöser der Kamera. Mont Blanc, Grand Combin, Gran Paradiso, Grivola – alle standen sie Spalier. Knapp unter der 3000er Höhenmarke erreichten wir den Lago Gelato, wo sich die Wege der Gipfelstürmer vom Rest der Gruppe trennten. Ab hier ging es durch recht chaotisches Blockgestein aufwärts zum Passo tres Cappucini, der durch seine markanten Gesteinsformen leicht zu erkennen ist. Nach einer kurzen Rast nahmen wir nun das Unternehmen Gipfel in Angriff. Gut geführt ging es durch Blockgestein, kurze Kletterpassagen und Wegspuren hinauf und auf 3.559 m war es dann geschafft. Der Gipfel wird geziert von einem kleinen Kreuz und einer silbernen Madonna.
Der Blick schweifte von hier in einem unglaublichen Schwenk von 360° – Mont Blanc, Matterhorn, Monte Rosa waren wunderbar zu erkennen. Noch immer war der Himmel makellos, ein Tag den man so schnell nicht vergessen kann. Auch die Temperaturen waren für die große Höhe erstaunlich angenehm. Faszinierend ging der Blick hinunter nach Aosta, rund 3.000 Meter tiefer. Nach ausgiebiger Rast ging es dann auf dem Anstiegsweg wieder zurück. Bei den vielen Nachfolgenden Gipfelstürmern waren wir froh, so früh aufgebrochen zu sein. So hatten wir den Gipfel fast für uns allein. Nach und nach kamen dann auch die ersten Wolken auf. 
Weit unten machten wir dann noch eine ausgiebige Rast und bestaunten den Berg noch einmal, der uns einen tollen Tag beschert hatte. Der Rest des Tages wurde dann nochmals in der gemütlichen Hütte verbracht, wo uns der Abend abermals mit einer opulenten Mahlzeit versüßt wurde. Müde und zufrieden ging es dann in die Lager. Nach einer traumhaften Woche, die alles Schöne vereint hatte, was die Bergwelt bereithalten kann, ging der Abschiedstag dann mit Morgennebel zuende. 
Mit der ersten Seilbahn ging es zurück in die Hektik des Aostatals, von wo wir alle mit ein wenig Wehmut die Heimreise antraten.

Mont Blanc beim Aufstieg zum Emilius       
Gipfel geschafft, müde aber zufrieden
Gipfelblick zum Gran Paradiso  
 .. und 3000 m tiefer Aosta
Blick zum Matterhorn