Mein Reisetagebuch – Dolomitenhöhenweg Nr. 1 – August 2003

Sonntag, 03.08.2003

Seit zwei Tagen braute sich über den Alpen und ganz West-Europa etwas zusammen – nämlich das beständigste und kräftigste Hochdruckgebiet dieses Sommers, der auch so schon allerlei zu bieten hatte. Und gerade zu diesem Zeitpunkt hatten wir uns vorgenommen, die östlichen Dolomiten auf dem Alta Via 1 von Nord nach Süd einige Tage zu durchstreifen. Nachdem eine geführte Tour mangels Teilnehmern nicht zustande kam,, hatte ich kurzerhand die Planung übernommen. Und so zogen wir dann an einem heißen Morgen am Ufer des Pragser Wildsees los. 
Begleitet von lärmenden, sandalenbehafteten Horden, deren großes Ziel nur die Seeumrundung sein konnte, zogen wir mit unseren dick bepackten Rucksäcken entlang des Ufers dieses landschaftlichen Kleinods los. Schon auf den ersten Metern fragte sich außer Steffi, die den kleinsten Rucksack hatte, jeder, was denn wohl alles zuviel eingepackt  worden sei. Und jedes Gramm sollte sich bei der Hitze wohl rächen. 
Nach der Verarztung der ersten Blasen, die bei Gudula schon vor den eigentlichen Steigungen aufgetreten waren, sich aber dann dafür sehr anhänglich zeigen sollten, ging es in brütender Hitze zum längsten durchgehenden Aufstieg der gesamten Woche. Durch kaum schattenspendende Latschen marschierten wir schwitzend aufwärts. Wie diverse kaum bekleidete italienische Wanderer dies ohne Hitzschlag überstanden, ist uns allen ein Rätsel gewesen. Die herrlichen Tiefblicke auf den See konnte wir zumeist nicht lange genießen, da Schatten Mangelware war. So ging es weiter hinauf zur Ofen mauer und dem Nabigen Loch, von wo sich erste Fernblicke zu den Drei Zinnen im Osten ergaben. Ein letzter Aufschwung und es ging hinab zur Seekofelhütte, die schon von vielen Wanderern bevölkert war. Aufgrund der Lage in dem verkarsteten Gebiet unterhalb des Seekofels wird die Hütte nur mit Wassertanks versorgt. Viele Fernwanderer bleiben hier über Nacht. Wir jedoch hatten uns die Senneshütte als Quartier auserkoren, was sich als Glücksgriff erweisen sollte. Nicht nur die Tatsache, hier fließendes Wasser vorzufinden, auch die reichhaltige Speisekarte ließen das ermattete Wandererherz höher schlagen. Da machte es auch kaum etwas aus, dass aufgrund der Strapazen der Gipfelsturm auf den Seekofel ausfiel. 

Auf 1005 hm, ab 395 hm – Gehzeit ca. 5 h    

Der Seekofel vom Pragser Wildsee 
 Der Seekofel mit Anstiegsweg

Montag, 04.08.2003

Strahlend blauer Himmel weckte uns frühzeitig. Mit einem guten Frühstück gestärkt sollte es auf die kürzeste und eher unattraktivste Etappe des Höhenweges gehen. Zuerst jedoch genossen wir die angenehme Umgebung des Sennes-Alpe. Nachdem Gudula’s Blasen von Steffi wieder fachfraulich verarztet worden waren (ich sage nur – für alle Fälle Stephanie), ging es dann abwärts durch Latschenkiefern zur Fedara-Hütte. Hier empfing uns ein idyllisches kleines Almdorf von dem es über die steile Fahrstraße hinab nach Pederü ging. Nun holte uns der Alltag schon fast wieder ein. Der große Parkplatz war schon gut gefüllt und Wanderer, Mountainbiker und Radfahrer tummelten sich in Mengen hier. 
Positiv ist, dass der Jeep-Taxi-Verkehr zur Faneshütte eingestellt wurde, der schon seit Jahren viele Wanderer genervt hatte. Wer die knapp 2 Stunden Wanderzeit bis zur herrlichen Fanesalpe nicht selber schafft, soll es eben sein lassen. 
In brütender Hitze ging es dann aufwärts zur neu renovierten Hütte. Doch – oh Schreck, die Hütte war schon seit dem frühen Morgen ausgebucht. Was tun? Die nahe Lavarella-Hütte war ebenfalls dicht. Da blieb wohl nur die Nacht auf der nahen Alm. Aber ein kleiner Hoffnungsschimmer blieb noch. Die nette Bedienung Birgit (kurz Pumuckl, wegen der kecken roten Haartracht) hatte noch was im Petto. Und nach ein wenig Bangen kam dann die gute Nachricht, dass noch jemand abgesagt habe. So begann eine Glückssträhne, die uns noch auf dem weiteren Wege begleiten sollte. 
Dermaßen erleichtert streiften wir dann über den Almboden am Grünsee. Eine Abkühlung gab’s erst für die Füsse im nahen Bach bevor auch das Weißbier in der benachbarten Lavarellahütte getestet wurde. 
Beim feudalen Abendessen auf der Terrasse konnten wir dann auch mit anderen Höhenwanderern Erfahrungen austauschen. Die netten und hilfsbereiten Leute von der Faneshütte besorgten uns dann auch noch ein Zimmer auf der nächsten Hütte auf dem Lagazuoi, was uns den kommenden Tag noch entspannter erwarten ließ. Dass wir jedoch aufgrund eines Guinness-Buch-verdächtigen Schnarchers im Lager alle nur wenig Schlaf mitbekamen, war ein kleiner Wermutstropfen, der uns die Faneshütte aber trotzdem nicht vermiesen konnte. 

Auf 565 hm, ab 635 hm – Gehzeit ca. 4,5 h    

An der Senneshütte
Almdorf bei der Fodara-Hütte
Auf der Fanesalpe
Am Grünsee bei der Faneshütte (rechts oben) 

Dienstag, 05.08.2003

Weiterhin war uns das Wetter gut gesinnt. Ein kleines Gewitter, das tatsächlich kurzfristig unseren Schnarcher übertönte, hatte nur wenig Regen gebracht. 
Am Morgen spannte sich wieder ein blauer Himmel über der Alpe. Nach einem kurzen Steilstück hinauf zum Limosee ging es gemütlich über Fahrwege und breite Almwiesen weiter. Radler und Wanderer teilen sich inzwischen diese herrliche Landschaft, was aber auch absolut unproblematisch funktioniert. Ein letztes Stück im Schatten und dann begann mit dem Aufstieg zur Forcella del Lago die Tortur dieses Tages. Ablenkungen waren reichlich vorhanden – im Westen öffnete sich der Blick zur Marmolata und Sella und im Süden wurde die Scharte von Cima Scotoni und Cima del Lago eingerahmt. In Serpentinen ging es aufwärts bis sich in der Scharte ein herrlicher Tiefblick ins Alta Badia auftat. Der nun folgende Abstieg ist wirklich nicht ohne. Bis ins Frühjahr halten sich hier oft noch Schneereste. Das war in diesem heißen Sommer natürlich nicht der Fall, aber auch die steile Geröllscharte beanspruchte alle unsere Aufmerksamkeit. Schweißgetränkt erreichten wir dann das Hochplateau über dem Lago di Lagazuoi. Hier konnten schon die ersten Überreste von Stellungen aus den Kriegsjahren 1915-1918 betrachtet werden. Von den Drei Zinnen bis zum Ortler zog sich diese Front damals und gerade hier tobte der Krieg besonders heftig. 
Nach einer ausgiebigen Pause ging es dann auf dem breiten Weg über das Plateau unter den Fanisspitzen vorbei. Hier zeiht sich mit der Via Ferrata di Tomaselli ein sehr ausgesetzter Klettersteig durch den Berg. Auf dem Normalweg jedoch waren ganze Heerscharen unterwegs, was natürlich durch die Seilbahn auf den Lagazuoi-Gipfel unterstützt wird. 
Endlich kamen wir dem Gipfel näher und mit einer Energieleistung quälten wir uns dann noch die Piste zur Hütte hinauf. Oben angekommen, musste  erstmal der Blick gewürdigt werden. Die Königin der Dolomiten, die Marmolata machte im Westen ihre Aufwartung, und weiter ging der Blick über Civetta, Croda da Lago und Pelmo in die Region, die in den nächsten Tagen auf uns wartete. 
Über einen gesicherten Steig konnten Lothar und ich dann abends noch den Hauptgipfel erreichen und von dort im letzten Tageslicht einen tollen Einblick in die bereits gemeisterte Wegstrecke bekommen.
In der auf den ersten Blick recht einfachen Hütte erwartete uns dann ein hervorragendes Quartier mit einem noch besseren Abendessen, so dass wir dann auch noch ein wenig Gudulas Hochzeitstag feiern konnten. 

Auf 1055 hm, ab 410 hm – Gehzeit ca. 6,5 h    

Oberhalb der Faneshütte
Aufstieg zur Forcella del lago

Die Forcella del lago 
Blick von der Lagazuoi-Bergstation zum Falzarego-Pass

Mittwoch, 06.08.2003

Das stabile Hochdruckgebiet machte die Entscheidung zur längsten Etappe dieser Tour einfach. Per Handy, das erstmals auf der Tour Empfang hatte, war ja schließlich das Lager auf der Palmieri-Hütte am Federasee reserviert worden. Also entschlossen wir uns auch zu einem Abstieg der besonderen Art. Durch die alten Kriegsstollen stiegen wir vom Lagazuoi ab. Bestückt mit Stirnlampen, die bei einer solchen Aktion wirklich sehr hilfreich sind, ging es abwärts. Bedrückend und beklemmend ist all dies, wenn man sich überlegt, wie die Menschen zu Kriegszeiten hier ums Überleben kämpften. Berauschend und faszinierend ist es, wenn man offenen Auges durch die Gänge streift und die sich auch immer wieder ergebenden Ausblicke genießt. 
Nach knapp 300 Höhenmetern kommt man dann wieder ans Tageslicht. Hier ging unsere Glückssträhne dann weiter, denn kurz nachdem wir auch die nächste Engstelle gemeistert hatten, kamen ganze Heerschaaren vom Falzaregopass aufwärts, um durch den Tunnel aufzusteigen. Von diesen Massen (mind. 200 Menschen) wären wir wohl unweigerlich wieder mit hinauf gedrückt worden. 
So kamen wir dann der Zivilisation am Falzaregopass schnell näher und nach einer kurzen Auffrischung unserer Getränke und meiner Filmvorräte ging es dann schnell wieder zurück in die Berge. Über einen schönen Steig erreichten wir die Hochfläche an den Cinque Torri, einer bizarren Felsformation, an der sich ständig viele Kletterer tummeln. Nach einer Stärkung an der Scoiattoli-Hütte zogen wir dann über Wiesen und Wälder hinab zur Strasse, die vom Passo Giau nach Cortina hinabzieht. Dann ging es wieder durch hübsche Wälder aufwärts ins Gebiet der Croda da Lago. In der Ferne kündigte sich ein Gewitter an und kurz vor der Hütte prasselten dann die ersten Tropfen nieder. Die Erfrischung war jedoch nur von kurzer Dauer. Aber immerhin konnten wir sagen, dass wir auch die Regenhüllen nicht umsonst mitgenommen hatten.
An der kleinen Palmieri-Hütte, die seit einiger Zeit als Rifugio Croda da Lago bekannt ist, waren auf kleinstem Raum recht viele Menschen untergebracht. So waren wir froh, dass wir den Abend bei einem guten Roten unter den Sternen verbringen konnten.

Auf 715 hm, ab 1295 hm – Gehzeit ca. 8 h    

Morgentlicher Blick vom Lagazuoi – im Vordergrund Averau und Cinque Torri, dahinter Croda da Lago und Pelmo.
Die Königin der Dolomiten – die Marmolata
Am Einstieg in die Kriegsstollen
Der Lagazuoi vom Falzarego-Pass
Die Cinque Torri – ein Kletterparadies

Donnerstag, 07.08.2003

Die letzte Etappe stand für uns an. Von der Croda da Lago sollte es an den Fuß der Civetta gehen. Über einen guten breiten Weg ging es zum schon weithin sichtbaren Wegweiser, dem Becco di Mezzodi. Vom Pass neben diesem Gipfel hat man einen genialen Blick auf die Berge um Cortina d’Ampezzo. Sorapiss und Cristallo dominieren das Panorama im Nordosten, die Tofanen im Norden und die Civetta und der Pelmo warten im Süden.
Dermaßen hin und her gerissen kann man sich kaum entscheiden, welcher Anblick der schönere ist. Genauso schwer fällt der Weiterweg. 
Über die Almböden. geht es dann abwärts bis man nahe dem Passo Staulanza das Rifugio Citta di Fiume erreicht. In der kleinen Hütte gibt es nur wenige Betten. Glücklich, wer eines davon ergattert, denn die Lager im Keller sind nun wirklich kaum jemandem zuzumuten.
Unter den Hängen des Monte Pelmo zieht sich dann der Weg durch Schotter und Latschen hinüber zum Staulanza-Pass, wo ein kleines Rifugio auch Unterkunft bietet. Wir zogen jedoch weiter in Richtung Civetta, wobei sich die Strapazen der letzten Tage bei uns allen in dem einen oder anderen Wehwehchen bemerkbar machten. 
Vorbei am Skigebiet, das vom Städtchen Alleghe heraufzieht, kamen wir zum letzten Aufstieg am Fusse der Civetta. Nach knapp 300 Metern Aufstieg erreichten wir mit dem Rifugio Coldai einen weiteren Höhepunkt der Tour. Ein sehr gepflegtes Haus, von dem viele Kletterer ihre Touren in den Wänden des Civetta-Massivs unternehmen. Mit einem herrlichen Farbenspiel in den Wänden des Pelmo und der fernen Bosconero-Gruppe ging dieser Tag dann zur Neige.

Auf 910 hm, ab 820 hm – Gehzeit ca. 7 h    

Rifugio Croda da Lago am Lago di Federa
Tiefblick nach Cortina d’Ampezzo
Die Civetta
heile Welt an der Croda da Lago
Hüttenruhe?
Der Pelmo im Abendlicht

Freitag, 08.08.2003

“Nur noch der Abstieg “. Dieses Ziel sollte recht einfach sein, zumal es auch eine Seilbahn nach Alleghe gibt. Über den nahen Coldaisee sollte es über den Weg Nr. 4 abwärts gehen. Die ersten Hinweise “difficile” konnten uns nicht abschrecken, das tat dann aber doch der Weg. Mit den dicken Rucksäcken nicht so beweglich und nicht wissend, wie es denn wirklich weitergeht, entschieden wir uns für den Rückzug. Dadurch hatte sich unsere Zeitplanung natürlich entscheiden verschlechtert. Der Bus im Tal war fast unerreichbar. So stiegen wir dann über den Aufstiegsweg vom Vortag wieder abwärts. Der folgende Weg durchs Skigebiet verlief jedoch recht zügig, so dass wir die Seilbahn fast noch frühzeitig genug erreichten. Im Endeffekt fehlten nur wenige Minuten. Unten angekommen kam der Bus dann mit etwas Verspätung um die Ecke. Auf unser Winken blieb der Fahrer tatsächlich auf offener Strecke stehen und lud un sein. Sowas sollten sich unsere Busfahrer durchaus mal merken.
So kamen wir dann doch noch rechtzeitig zu den weiteren Verbindungen in Corvara und Bruneck. Dass unser Pensum an Glück immer noch nicht aufgebraucht war, zeigte sich am Auto, dessen Batterie durch ein vergessenes Licht total  am Ende war. Jedoch kam nach wenigen Minuten auf dem einsamen Parkplatz ein Retter in der Not vorbei. So fand die Tour auch hier noch ein positives Ende.

Auf 135 hm, ab 605 hm – Gehzeit ca. 2,5 h    

Am Rifugio Coldai
Alleghe